Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden mitten im zerstörten Hamburg hochmoderne und baukulturell einzigartige Gotteshäuser, von denen viele jedoch heute ganz oder in Teilen vom Abriss bedroht sind. Während die Stadtgesellschaft großes Interesse am Erhalt der oft stadtbildprägenden Sakralbauten hat, ist das Thema für die betroffenen Gemeinden und Kirchenleitungen meist so belastend, dass sie es nicht frühzeitig öffentlich diskutieren möchten. Dadurch werden Probleme mit der Nutzung oder der Instandhaltung häufig erst bekannt, wenn es bereits zu spät ist.

Baugeschichte

Schon die Anzahl ist bemerkenswert: Nach 1945 wurden über 130 Kirchen neu errichtet, so dass sich ihre Anzahl in Hamburg in etwa verdoppelte. Die große Anzahl neuer Kirchen ergab sich aus der Teilung von Gemeinden und dem Entstehen neuer Stadtteile an Hamburgs Stadträndern. Hinzu kam der gesamtgesellschaftliche Wunsch nach Geborgenheit im sakralen Raum nach den traumatisierenden Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges. Erklärtes Ziel in Hamburg war es damals, „von Kirchturm zu Kirchturm blicken zu können“ (vgl. Hans-Jürgen Benedict in "Baukunst von morgen! Hamburgs Kirchen der Nachkriegszeit", bearb. von Karin Berkemann, hg. vom Denkmalschutzamt, S. 20). Tatsächlich ist das Netz der neu errichteten Kirchen so eng, dass deren Abstände selten mehr als zwei Kilometer betragen.

Bemerkenswert ist aber auch die baukünstlerische Umsetzung. Im Gegensatz zur Vorkriegszeit, in der im norddeutschen Kirchbau vor allem Backstein dominierte, wurden bei den Fassaden nun zeittypische Materialien wie Sichtbeton, Stahl und Aluminium verwendet. Eines der besten Beispiele für die neue Raumwirkung und die Verwendung von Sichtbeton ist die ehemalige röm.-kath. Kirche St. Maximilian Kolbe (Wilhelmsburg, 1974, siehe Bildergalerie). Aber auch die Baukörper und die Orientierung im Raum wurden viel experimenteller, was auch Ausdruck eines neuen kirchlichen Selbstverständnisses war: Anstelle der frontalen Predigt sollte nun die Gemeinschaft der Gläubigen auch räumlich im Mittelpunkt stehen. Oft bildeten geometrische Grundrissformen die Basis der neuen Gotteshäuser, z.B. ein Oval in der ev.-luth. Dreifaltigkeitskirche (Hamm, 1956-57) oder ein Dreieck in der ev.-luth. Martinskirche (Rahlstedt, 1961).

Die radikalste Neuerung war jedoch die Trennung von Kirchraum und Turm: Bei vielen der neuen Kirchenbauten standen die Türme nun frei neben dem Hauptbaukörper und waren höchstens durch einen flachen Verbindungsteil angeschlossen. Beispiele sind die o.g. Dreifaltigkeitskirche in Hamm sowie die ev.-luth. Dreifaltigkeitskirche in Harburg (1962-66), die ev.-luth. Hauptkirche St. Nikolai (Harvestehude, 1962) oder die ev.-luth. Christuskirche (Wandsbek, 1954, Turm 1963-65).

Gestalterisch essentiell war neben Materialauswahl und Raumkonzept auch die neue Lichtführung. Das Spiel von Licht und Schatten wurde zu einem Schwerpunkt der Gestaltung und ersetzte klassischen Bauschmuck. In der ev.-luth. Bethlehem-Kirche (Eimsbüttel, 1958-59) beleuchtet zum Beispiel ein dachhohes Fensterband den Altarraum. Die ev.-luth. Erlöserkirche (Farmsen, 1957-60) wird durch ein auffälliges Lichtband im Parabelbogen erhellt. Der Raum der ehemaligen ev.-luth. Kapernaumkirche (Horn, 1958-61), die heute von der islamischen Al-Nour-Gemeinde genutzt wird, wird durch wabenförmige Muster aus Beton und Glas erleuchtet. Eine aufregende Fenstergestaltung besitzt auch das Gemeindezentrum der ev.-ref. Kirche in der Hamburger Altstadt (1965).

Auch Gemeindezentren, die nicht dem klassischen Bild einer Kirche (Haus mit Turm) entsprechen, können architektonisch sehr qualitätvoll und erhaltenswert sein, wie das ev.-luth. Gemeindezentrum Mümmelmannsberg (siehe Bildergalerie) oder das Zentrum der Martin-Luther-King-Gemeinde in Steilshoop. Eine bauliche Besonderheit stellen Kirchen dar, die im Rahmen des Notkirchen-Programms von Otto Bartning entstanden sind, wie die ev.-luth. Kirchen St. Markus (Hoheluft) und St. Martinus (Eppendorf).

Auch Gotteshäuser nicht-christlicher Religionen teilten die neuen Bauformen und Ideen der Nachkriegszeit, wie etwa die Synagoge Hohe Weide (Eimsbüttel, 1960). Das denkmalgeschützte Gebäude steht auf einem fünfeckigen Grundriss und ist mit schlichten weißen Steinplatten verkleidet. Erwähnenswert ist ebenfalls der stadtbildprägende Bau der sogenannten „Blauen Moschee“, der Imam-Ali-Moschee an der Alster (1960-65, siehe Bildergalerie).

Aktuelle Situation

Laut einem Positionspapier aus dem Jahr 2023 werden sich die beiden großen Kirchen in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten von fast einem Drittel ihrer Immobilien trennen müssen. Die seit Jahren zunehmenden Kirchenaustritte machen es den Gemeinden zunehmend schwer, ihre Gebäude mit Leben zu füllen. Seit 1990 hat sich die Anzahl der Austritte mehr als verdoppelt. Kirchenseitig wird regelmäßig der Mangel an Priestern und Pfarrer:innen als Problem genannt. Hinzu kommen die Kosten für Instandhaltung und Sanierung und die oft hohen Unterhaltskosten, vor allem durch gestiegene Energiekosten. Die meisten Kirchen sind nicht gedämmt, müssen jedoch geheizt werden, weil die Orgeln eine konstante Grundtemperatur benötigen – unabhängig davon, ob die Räume tatsächlich genutzt werden.

Die größte bauliche Herausforderung besteht bei der Instandhaltung des Betons. Nach dem Krieg herrschten Zeitdruck und Materialmangel, und vielerorts wurde der Beton zu sparsam eingesetzt. Die Stahl-Bewehrungen sind daher an vielen Stellen nicht ausreichend mit Beton bedeckt und der Stahl ist über die Jahrzehnte korrodiert. Da Betonsanierungen aufwendig und teuer sind, sind die Gemeinden häufig mit den Sanierungskosten überfordert.

In der Folge der schwindenden Mitgliederzahlen werden zunehmend Gemeinden zusammengelegt und Kirchen entwidmet. Bei der Entscheidung zwischen Vorkriegs- und Nachkriegskirchen wird zumeist den älteren Gebäuden der Vorzug gegeben, da die Gemeinden sich ihnen emotional stärker verbunden fühlen. Leider kommuniziert die Kirche das Thema der schrumpfenden Gemeinden nur sehr zurückhaltend. Natürlich haben die Leitungsgremien der Gemeinden nicht nur die Verantwortung für ihre Gebäude: Sie müssen auch weiter ermöglichen, Gemeindearbeit für und mit den Menschen in Hamburg zu gestalten. Mit weniger Geld auszukommen, die Gebäude zu erhalten und gleichzeitig Stellen zu finanzieren, ist eine gewaltige Herausforderung für religiöse Gemeinschaften.

Gefährdete Objekte

Ein großer baukultureller Verlust droht mit dem kürzlich beschlossenen Abriss der ev.-luth. Lukaskirche (Sasel, 1965, s. Bildergalerie). Sie besitzt eine ungewöhnliche Architektur mit einem sehr geometrisch gestalteten Turm und einem Kirchenschiff mit einem tief herunterragenden Dach.

Einen weiteren Verlust stellt der Kirchturm der ev.-luth. Kirche St. Johannis (Harburg, 1954, s. Bildergalerie) dar, der im Jahr 2022 abgebrochen wurde. Der Turm war baugeschichtlich bedeutsam als erster freistehender Turm einer Nachkriegskirche in Hamburg. Mit seiner prominenten Lage in der Harburger Innenstadt besaß der Turm zudem eine wichtige Bedeutung für die Identität des Stadtteils. Nachdem ein Betongutachten seinen schlechten Zustand festgestellt hatte, hatte sich das Denkmalschutzamt gemeinsam mit der Harburger Politik um eine Förderung bemüht und konnte eine Finanzierung durch das "Sonderprogramm Denkmalschutz der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien" in Aussicht stellen. Die Gemeinde fürchtete jedoch zu hohe Folgekosten und entschied sich schließlich doch für den Abriss.

Ebenfalls vom Abriss bedroht ist der Kirchturm der röm.-kath. Franz-von-Assisi-Kirche (Barmbek, 1927 errichtet, nach 1945 wiederaufgebaut). Ihr markanter Turm wurde bei der letzten Grundsanierung der Kirche 2014-16 aus Kostengründen nicht instandgesetzt und ist zurzeit nur notgesichert. Wegen Betonschäden vom Abbruch bedroht ist auch der Turm der ev.-luth. Auferstehungskirche (Lohbrügge, 1968-70).

Eine unklare Zukunft hat die beeindruckende röm.-kath. Kirche St. Erich an der Marckmannstraße in Rothenburgsort (1961–63, s. Bildergalerie). Seit mehreren Jahren ist die Kirche für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich und es gibt Abrisspläne innerhalb der Gemeinde.

Als gefährdet muss leider auch die o.g. Synagoge an der Hohen Weide gelten. Wenn im Grindelviertel die ehemalige Bornplatz-Synagoge wiederaufgebaut werden sollte, steht dieses denkmalgeschützte Gebäude aus der Nachkriegszeit vor einer unklaren Zukunft.

Lösungsansätze

Sakralbauten, die ihre religiöse Funktion verloren haben, können auf vielfältige Weise umnutzt werden: Als Gotteshäuser für andere Religionen, sogenannte „dritte Orte“ wie Räume der Stille, Gemeinschaftsräume für Familien, Ausstellungsflächen für Kunst und Kultur oder auch Räume für Arbeit und Produktion. An mehreren Stellen in Hamburg wurden solche Umnutzungen bereits erfolgreich durchgeführt:

  • Die ehemalige ev.-luth. Bugenhagenkirche (Barmbek, 1927-29) ist heute das Kreativzentrum "Afrotopia". Eingerichtet wurde ein Kompetenzzentrum für wirtschaftliche Zusammenarbeit von Firmen im afrikanisch-europäischen Geschäftsfeld sowie Co-Working-Spaces. Zudem ist ein Catering- und Eventbereich sowie eine Bühne für Theater- und Filmaufführungen entstanden.
  • Die o.g. ehemalige Kapernaumkirche ist heute als Al-Nour-Moschee bekannt (siehe Bildergalerie). Nachdem die christliche Gemeinde die Kirche entwidmet und verkauft hatte, konnte die bis dahin in einer Tiefgarage ansässige islamische Gemeinde das Gotteshaus übernehmen, instandsetzen und denkmalgerecht in eine Moschee umwandeln.
  • Die o.g. ehemalige Kirche St. Maximilian Kolbe wurde durch öffentlichen Protest und die Umnutzung durch die Malteser Norddeutschland gGmbH vor dem Abriss gerettet. Eingerichtet wurde ein sozialpädagogische Kochprojekt, es gibt Ausbildungsangebote in Erster Hilfe, Sprachkurse und eine professionelle Betreuung für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Zudem ist hier ein Treffpunkt für Menschen mit dementieller Veränderung entstanden.
  • Die ehemalige ev.-luth. Nikodemuskirche (Ohlsdorf, 1959) wird zu einem musealen Raum umgebaut, dem „Zentrum für Hamburger Kunst“.
  • Die o.g. Dreifaltigkeitskirche in Harburg soll zu einer Kita umgewandelt werden.

Fazit

Die Sakralbauten der Nachkriegszeit in Hamburg haben einen großen Wert, auch unabhängig von religiösen Funktionen: als Zeugnisse europäischer Kulturgeschichte, als stadtteilprägende Gebäude, als mögliche zentrale Begegnungsorte für die umliegenden Stadtteile und nicht zuletzt aus ökologischen Gründen aufgrund der in ihnen gespeicherten Ressourcen und grauen Energie. Der Denkmalverein appelliert daher an die zuständigen Gemeinden, drohende Leerstände und Unterhaltungsprobleme frühzeitig zu kommunizieren. Vor jedem Abriss sollten zudem gründlich mögliche Umnutzungen geprüft werden, was unbedingt auch durch die öffentliche Hand strategisch verstärkt gefördert werden sollte. Die große Zahl und die durchweg hohe Qualität der Architektur fordert den unbedingten Erhalt dieser einzigartigen Baugattung.

Literatur zur Vertiefung:
"Dächer der Hoffnung: Kirchenbau in Hamburg zwischen 1950 und 1970", von Hans-Georg Soeffner, Hans-Christian Knuth und Cornelius Nissle
„Baukunst von morgen! Hamburgs Kirchen der Nachkriegszeit“, bearb. von Karin Berkemann, hg. vom Denkmalschutzamt Hamburg

Fotos: Ajepbah CC by SA-3, Karin Berkemann, Heinz Brossolat, Denkmalschutzamt, Dirtsh CC by SA-3, Fotografie Dorfmüller Klier, Hans-G. Oberlack CC by SA-3, Stefan Kleineschulte, Kristina Sassenscheidt, Gregor Zoyzyola