Die Sternwarte in Bergedorf ist Hamburgs Tor zu den Sternen: 2008 wurde sie als Denkmal von nationaler Bedeutung eingestuft und eine Bewerbung um UNESCO-Welterbeschutz angestrebt. Trotzdem ist der bauliche Zustand besorgniserregend und die zuständige Wissenschaftsbehörde hat bis heute kein Nutzungs- und Sanierungskonzept vorgelegt.
Geschichte
Bei ihrer Einweihung im Jahr 1912 zählte die Sternwarte Bergedorf zu den modernsten und größten Sternwarten in Europa. Errichtet wurde sie mit ihren sechs neobarocken Kuppelbauten, dem Verwaltungshauptgebäude und den Nebengebäuden auf dem Gojensberg, einer Anhöhe abseits der Stadt, um möglichst gute Beobachtungsbedingungen zu gewährleisten. Die Pläne dafür hatte der Architekt und Hamburger Bauinspektor Albert Erbe entworfen.
Beim Vorläufer der Sternwarte, dem Observatorium am Millerntor, waren die Bedingungen für die Himmelsbeobachtung mit der steigenden Luftverschmutzung, dem Ausbau des elektrischen Lichts und den zunehmenden Erschütterungen in der Großstadt immer schwieriger geworden. Nach der Einweihung der Sternwarte konnten die Astronomen mit ihren Teleskopen nun von Bergedorf aus die Milchstraße und anderen Galaxien erforschen.
Auch für die Schifffahrt war die Sternwarte von großer Bedeutung, denn die Navigation der Schiffe erfolgte damals noch mittels Sternkarten und der genauen Uhrzeit. Die Uhrzeit wurde von der Sternwarte durch Himmelsbeobachtung festgestellt und bis 1934 über einen Zeitball in den Hamburger Hafen übermittelt. Um genau 12 Uhr mittags Greenwich-Zeit fiel der schwarze Zeitball, der gut sichtbar auf dem Kaispeicher A (dem heutigen Standort der Elbphilharmonie) im Hafen aufgestellt war, an seinem Mast herunter. Die von Hamburg auslaufenden Schiffe konnten so ihre Schiffschronometer sekundengenau auf die richtige Uhrzeit einstellen. Auch die Zeitbälle in Bremerhaven und Cuxhaven wurden von der Sternwarte in Bergedorf aus gesteuert. Bis in die 1960er Jahre erstellte die Sternwarte die weltberühmten „Bergedorfer Sternenkataloge“, die zur Grundlage der noch heute am Himmel verwendeten Koordinatensysteme wurden. Im Jahr 1968 wurde die Sternwarte als Institut in den Fachbereich Physik der Universität Hamburg aufgenommen.
1973 löste der tschechische Astronom Luboš Kohoutek eine weltweite Kometen-Euphorie aus, als er an der Sternwarte mit dem Hamburger Schmidt-Teleskop den Kometen C/1973 E1 (Kohoutek) entdeckte. In manchen Medien stark übertrieben als „Jahrhundertkomet“ gefeiert, blieb der Komet dann allerdings weit hinter der erwarteten Helligkeitsentwicklung zurück.
Durch internationale Forschungskooperationen verlagerte sich die Himmelsbeobachtung mit optischen Teleskopen im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts stärker in andere geographische Regionen der Welt mit besseren Beobachtungsbedingungen. So wurde das große Schmidt-Teleskop der Sternwarte 1975 zum Calar-Alto-Observatorium in Südspanien verlegt, wegen der dort besseren Wetterverhältnisse (kein Hamburger Schmuddelwetter). Mit der verbleibenden Ausstattung dokumentiert die Sternwarte Bergedorf jedoch bis heute wie kaum eine andere Sternwarte die Entwicklung der Teleskoptechnik von ca. 1850 bis zur Gegenwart, von der klassischen Astronomie bis zur modernen Astrophysik.
Die Sternwarte wurde 1996 unter Denkmalschutz gestellt, 2008 wurde sie in die Liste national bedeutsamer Kulturdenkmäler aufgenommen. Mit ca. 40.000 Besucher:innen im Jahr ist sie zudem ein beliebtes Ausflugsziel im Hamburger Osten.
Aktuelle Situation
Nach einem erfolglosen ersten Anlauf 2012 fand 2023 eine zweite Bewerbung der Sternwarte für die Aufnahme ins Weltkulturerbe statt. Doch auch diesmal nahm die Kultusministerkonferenz die Sternwarte nicht in die deutsche Vorschlagsliste für die UNESCO auf. In seinem Abschlussbericht fand der Fachbeirat der Kultusministerkonferenz klare Worte: Die Investitionen in die Sternwarte würden nicht den Eindruck der Nachhaltigkeit vermitteln, für die Bauunterhaltung scheinen nicht genügend Mittel vorhanden zu sein. Der Park mache einen ungepflegten Eindruck, ein umfassendes Parkpflegekonzept scheine es nicht zu geben.
Und tatsächlich, bei einem Besuch vor Ort sieht man abplatzende Farbe an vielen Stellen, Feuchtigkeitsschäden, Rost. Nach einer Sanierung des großen Refraktors (einem großen Teleskop), die größtenteils aus Bundesmitteln finanziert worden war, sind nun auch Bauschäden am Kuppelbau des Refraktors aufgetreten und Feuchtigkeitsschäden im Mauerwerk.
Auch der Denkmalverein hat sich im Herbst 2024 mehrfach deutlich in der Presse geäußert. Die Bergedorfer Sternwarte ist ein national bedeutendes Kulturdenkmal, das sogar in den Rang des UNESCO Welterbes gehoben werden könnte. Sie befindet sich im Besitz der Freien und Hansestadt Hamburg, die es offensichtlich verfallen lässt. Die Stadt wird hier abermals ihrer gesetzlich festgeschriebenen Vorbildfunktion bei der Unterhaltung von Denkmälern nicht gerecht, was angesichts des besonderen historischen Wertes dieses Gebäudeensembles empörend ist.
Es bedarf dringend und schnell einer eingehenden Bestandsaufnahme, damit anschließend ein umfassendes Sanierungskonzept erarbeitet und umgesetzt werden kann. Für die professionelle Planung, Koordination und Durchführung der Sanierung muss die Stadt ausreichend Mittel bereitstellen. Wünschenswert wäre darüber hinaus eine Stelle für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising, die insbesondere die technikgeschichtlich bedeutsamen Teile der Sternwarte angemessen vermitteln und damit für die Zukunft sichern kann.
Fotos Herbst 2024: Kristina Sassenscheidt