An der sechsspurigen Kieler Straße verfällt seit vielen Jahren eine architektonische Perle der Nachkriegszeit: das „Ladenzentrum Kieler Straße“ des Hamburger Architekten Werner Kallmorgen aus dem Jahr 1963. Leider steht das Ensemble nicht unter Denkmalschutz, und die Abrisspläne liegen schon bereit.

Seit Jahren herrscht Stillstand an der Kieler Straße / Ecke Volksparkstraße: Gras wuchert, Müll liegt herum und die beiden Pavillonbauten stehen leer. Ihre Erdgeschosse sind notdürftig mit OSB-Platten verdeckt, die Fassaden mit Graffiti beschmiert und der Vandalismus ist überall sichtbar. Im Vorbeifahren nehmen die Wenigsten das ehemalige Einkaufszentrum hinter den Bauzäunen wahr. Als "bekanntester Schandfleck in Hamburg-Stellingen" bezeichnet die Presse die zwei Gebäude in unmittelbarer Nähe des Sportplatzrings. Und das, obwohl kein geringerer als Werner Kallmorgen die beiden zweigeschossigen Pavillonbauten in Stellingen entwarf. Der Hamburger Architekt war unter anderem für den Wiederaufbau der Speicherstadt oder den Zuschauerraum des Thalia Theaters verantwortlich.

Zur Architektur

Ein nahezu quadratisches und ein langgestrecktes Gebäude sind leicht aus der Flucht der Kieler Straße gedreht und ein wenig versetzt zueinander platziert. Dazwischen verlief früher die alte Volksparkstraße zur Kieler Straße hin, bis diese 1970 im Zuge einer städtebaulichen Verkehrsneuordnung von 11 auf 22 Meter verbreitert wurde. Zwei alte Bäume sind Zeugen der dadurch entstandenen Höhendifferenz von 60 Zentimetern, und wurden damals geschickt in Stufen und Rampen eingebunden.

Die ursprüngliche Leichtigkeit, Transparenz und Eleganz des Ensembles ist nur noch zu erahnen. Die Bauten aus Stahl und Glas betonen die Horizontale mit ihrem 2:1-Verhältnis von Breite und Höhe. Schlanke Stützen aus I-Profilen tragen die Geschoss- und Deckenplatten, die Deckenkonstruktion liegt hinter breiteren Riegeln aus U-Profilen. Unterhalb der Deckenplatten sind Gitterroste angebracht, die zugleich als Sonnenschutz fungieren und die geschwungenen Reklameschriften der Läden trugen. Die Brüstung im Obergeschoss ist gläsern. Kallmorgen interpretiert das für Stahlbauten typische Raster hier nicht nur als Konstruktionsmaß, sondern konsequent auch als Gestaltungsmittel, das seine Fortsetzung in der Platzgestaltung findet. Am südlichen Ende des Areals standen bis zum Bau der neuen Kreuzung zusätzlich zwei Schauvitrinen wie Miniatur-Ausgaben des Ladenzentrums.

Aktuelle Situation

Über die Jahrzehnte hat sich das Ensemble in vielen Details zum Negativen verändert. Einst in edlem Anthrazit gehalten, blättert die heute braune Fassadenfarbe ab. Die früheren Ganzglasfassaden sind heute durch grob profilierte Mehrfeldunterteilungen ersetzt. Das Raster des Pflasters ist an vielen Stellen verloren gegangen. Doch das Ensemble hat nicht nur optische Probleme: Veränderte Einkaufsgewohnheiten und neue Handelsformen lassen eine wirtschaftliche Nutzung nicht mehr tragfähig erscheinen, und die extrem hohe Verkehrsbelastung hat den Ort unwirtlich gemacht. Dazu kommt ein städtebaulicher Entwicklungsdruck, der das ursprüngliche Ideal der aufgelockerten und durchgrünten Stadt als Luxus erscheinen lässt: Entlang der Magistralen soll nachverdichtet werden, im Idealfall mit 6- bis 7-geschossiger Blockrandbebauung.

Im Januar 2024 berichteten der NDR und die Tagesschau, dass der Senat ein Vorkaufsrecht für das Grundstück des ehemaligen Einkaufszentrums erlassen hat. Der Bezirk Eimsbüttel wird im April ein Ausschreibungsverfahren starten. Laut dem SPD-Fraktionsvorsitzendem Gabor Gottlieb sollen die Pavillons abgerissen und in drei bis fünf Jahren durch Wohnungen und Gewerbe ersetzt werden.

Leider hat sich das Denkmalschutzamt aufgrund der veränderten Details gegen eine Unterschutzstellung der Pavillons entschieden. Der Denkmalverein würde dennoch dafür plädieren, die Gebäude zu erhalten und ihre ursprünglichen architektonischen und städtebaulichen Qualitäten wieder herauszuarbeiten. Die dreieckige Platzfläche Ecke Kieler Straße / Volksparkstraße könnte als aufgelockerter Freiraum erhalten werden und mit den Bestandsbäumen seine gerade in Zeiten des Klimawandels wichtige mikroklimatische Funktion behalten.

Aktuelle Fotos: Elke Sommerfeld
Historische Fotos: Hamburgisches Architekturarchiv, Fotograf Christian Springer