Hinter Stahlzaun und Stacheldraht versteckt schlummert am Billwerder Neuer Deich 28 in Rothenburgsort ein Stück Stadt- und Schnapsgeschichte: Die Verwertungsstelle der einstigen Bundesmonopolverwaltung für Branntwein. Sie soll trotz Denkmalschutz nach aktuellen Planungen der Stadt in großen Teilen abgerissen werden.
Auf 12.000 Quadratmetern ist an diesem historischen Gebäude-Ensemble bis heute die Praxis des staatlichen Monopols der Alkoholherstellung nachvollziehbar, das seit 1922 die Bevölkerung vor gepanschtem Sprit schützen und die Einnahmen aus der Alkoholsteuer absichern sollte: Von Beamtenwohnhaus und Pförtnerloge über Zahlstelle, Fasslager, Garagen, Werkstätten und Tanks bis zur spektakulären Abfertigungs- und Produktionshalle aus Stahlfachwerk, Glas und Backstein sind Anlagen und Bauten des Staatsbetriebs komplett erhalten. Das Ensemble um einen großen Innenhof wurde 1936 bis 1938 auf dem Gelände einer ehemaligen Spirituosenfabrik gebaut, überstand weitgehend unbeschadet die Bombardierungen von 1943 und wurde in den 1960er Jahren um einige Labore und Werkstätten ergänzt.
2017 gab das staatliche Alkoholmonopol nach vielen Jahren des administrativen Siechtums endgültig den Geist auf. Die Verwertungsstelle am Billwerder Neuer Deich hatte da schon seit zehn Jahren den Betrieb eingestellt, zwei verbliebene Beamte kümmern sich bis heute um die stille Bundesliegenschaft hinter dem hohen Zaun. Begehrlichkeiten, die sich auf das Objekt an den Elbbrücken richteten, ob von Investor:innen oder von Stadtteil-Initiativen, prallten zuverlässig am Desinteresse der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ab. Doch die Nachbarschaft wurde zunehmend für die Stadt interessant: Die östliche HafenCity Ost kam näher, 300 Meter westlich sollte der Elbtower entstehen. Das Branntweinmonopol avancierte zum Filetstück.
Damit wurde auch die Kulturbehörde auf das Gelände aufmerksam – und stellte das Ensemble im Juni 2020 als „authentisch erhaltenes und seltenes Zeugnis“ unter Denkmalschutz. Es handele sich um ein „seltenes Dokument der Tätigkeit der Monopolverwaltung“, typisch sei die „Verbindung von funktionalem Industriebau mit Verwaltungsbauten in ausgesprochen traditionalistischer Architektursprache“. Als der Hamburger Senat jedoch im März 2021 eine Vereinbarung mit dem Bund über die Zukunft des Geländes verkündete, war vom Denkmalschutz für das Ensemble keine Rede mehr. Die Zollverwaltung habe beschlossen, eine Berufsschule für jährlich 400 Nachwuchszöllner:innen auf das Grundstück an den Elbbrücken zu setzen. Man erhoffe sich eine „fruchtbare Symbiose“ zwischen der Zollschule und dem Quartier. Dazu will die Stadt die 2.000 Quadratmeter große Abfertigungshalle kaufen, denkmalgerecht sanieren und für bisher nicht definierte Stadtteilzwecke nutzen. Der Rest der Hamburger Schnapsgeschichte soll dagegen abgerissen werden.
Aktuell bereitet die Bundesbauabteilung einen Wettbewerb für den Zoll-Neubau vor. Initiativen aus dem Stadtteil, die sich vor zwei Jahren unter dem Schlachtruf „Monopol für alle!“ zusammen geschlossen hatten und das historische Gelände für lokales Gewerbe, Handwerker:innen- und Künstler:innengruppen, ein Stadtteilzentrum und ein Theater erschließen wollten, kommen nicht zum Zug. Sie konzentrieren sich jetzt darauf, die Öffnung des Geländes für Nutzungen aus dem Stadtteil zu konkretisieren – und hegen die leise Hoffnung, dass der Zoll doch noch einen besseren, geräumigeren Standort für eine norddeutsche Ausbildungsstätte findet. Der Denkmalverein begrüßt die Beteiligung der Initiativen, die sich für den Erhalt des historischen Monopols einsetzen, und plädiert dringend für eine Erhaltung des gesamten Ensembles.
Historisches Foto: Fotoarchiv Rothenburgsort
Aktuelle Fotos: Ingo Böttcher
Visualisierung: HafenCity GmbH