2022

Das Euler-Hermes-Hochhaus im Bezirk Altona prägte Bahrenfeld fast 40 Jahre lang und war eine Art inoffizielles Wahrzeichen des Stadtteils, vielleicht sogar des gesamten Bezirks Altona. Dennoch wurde es 2022 für ein neues Wohnquartier abgerissen.

1981 wurde das Hochhaus nach Plänen des Architekten Titus Felixmüller errichtet. Mit seinen 23 Stockwerken und 85,6 Metern Höhe überragte es imposant die Bebauung in der Umgebung und war zeitweise sogar das zweithöchste Bürogebäude Hamburgs. Schnell kam das weithin sichtbare Gebäude mit der markant geschwungenen Fassade und der strahlend hellen Farbe deshalb zu seinem Spitznamen „Weißer Riese“. Bis zu 1.400 Beschäftigte des Kreditversicherers Euler-Hermes waren in dem Hochhaus tätig.

Anfang 2015 teilte Euler-Hermes jedoch der Öffentlichkeit mit, dass das Gebäude abgerissen werde und auf einem nahegelegenen Grundstück des Unternehmens ein Neubau entstehen solle. Grund hierfür sei eine „ungünstige Ökobilanz“ des Büro-Hochhauses, das vollklimatisiert sei und einen sehr hohen Energieverbrauch habe, äußerte Euler-Hermes gegenüber der Presse. Langfristig sei ein wirtschaftlich sinnvoller Betrieb des Gebäudes daher nicht mehr möglich. Von Planern und Experten der Immobilienbranche seien Alternativen für eine Sanierung geprüft worden, letztlich seien aber alle Umbauvarianten „wesentlich teurer“ als der Abriss und ein Neubau. Bei diesen Berechnungen hatte Euler-Hermes sicherlich auch den Verkauf des Grundstücks einkalkuliert, auf dem der „Weiße Riese“ stand. Denn anschließend verkaufte Euler-Hermes das 20.000 Quadratmeter große Grundstück an die Quantum Immobilien AG, die auf dem Areal inzwischen mehr als 460 Miet- und Eigentumswohnungen errichtet hat. „Wer soll das bezahlen?“ fragte sich die Hamburger Morgenpost auf der Titelseite ihrer Ausgabe vom 29.09.2023 und berichtete über 9.000 € Kaufpreis pro Quadratmeter für eine Eigentumswohnung. Mitte 2024 sollten die ersten Wohnungen bezugsfertig sein.

Zurück zum „Weißen Riesen“: Nachdem sein Schicksal besiegelt war, wurde das Gebäude 2020 bis 2022 abgetragen. Der Abriss erfolgte dabei von den obersten Stockwerken abwärts, indem sich Spezialbagger vom Dach des Gebäudes nach unten durcharbeiteten. Bei den unteren Etagen kamen dann sogenannte Longfront-Bagger mit einem besonders langen Baggerarm zum Einsatz, der auch beim Abriss des City-Hofes am Klosterwall im Jahr 2019 eingesetzt wurde.

Die nur knapp 40-jährige Nutzungsdauer des Gebäudes war allerdings eines ganz sicher nicht: nachhaltig. Denn in jedem erbauten Gebäude steckt sogenannte „Graue Energie", die beim Bau des Gebäudes aufgewendet und verbraucht wurde. Das gilt insbesondere bei dem in Beton enthaltenen Zementklinker, der aus Kalkstein, Sand und Ton bei mehr als 1.400 Grad Celsius gebrannt werden muss. Das Handelsblatt schrieb deshalb sogar vom „Klimakiller Beton“. Vor diesem Hintergrund beanstanden die „Architects for Future“, dass Bauherren bei den Überlegungen zum Abriss und Neubau von Gebäuden bisher nur die anfallende Energie für den Betrieb der Gebäude, also etwa für Licht und Heizung mit einbeziehen – nicht aber die Erstellungsenergie, die bereits im Gebäude steckt. Die „Architects for Future“ fordern deshalb ein Genehmigungsverfahren vor dem Abriss eines Gebäudes, in dem nachgewiesen werden muss, dass der Abriss klimatechnisch sinnvoll ist.

Letztlich macht der Abriss des „Weißen Riesen“ einmal mehr deutlich, wie massiv sich privatunternehmerische Entscheidungen auf das bauliche Erscheinungsbild der Stadt auswirken können, wenn der Denkmalschutz nicht korrigierend eingreift. Das Denkmalschutzamt hatte das Gebäude weder unter Schutz gestellt, noch seine Dokumentation vor dem Abriss beauftragt, was unter Fachleuten durchaus umstritten ist. Glücklicherweise war der Architekt Philipp Schürmann ab Mai 2020 ehrenamtlich im und am Gebäude unterwegs, um den Prozess des Rückbaus zu dokumentieren. Die dabei entstandenen, eindrucksvollen Fotografien des „Weißen Riesen“ hat Philipp Schürmann freundlicherweise dem Denkmalverein für diesen Nachruf zur Verfügung gestellt (siehe Bildergalerie).

Fotos: Philipp Schürmann