Noch vor 100 Jahren war Hamburgs Straßenbild in weiten Teilen von Kopfsteinpflaster geprägt. Bis heute tragen diese historischen Oberflächen zum authentischen Erscheinungsbild vieler Straßenzüge bei. Nun laufen die erhaltenen historischen Pflasterungen jedoch an mehreren Stellen Gefahr, für neue Radwege asphaltiert oder entfernt zu werden - dabei gäbe es gute Kompromisse.

Hamburg wird Fahrradstadt: Bis 2025 sollen in Hamburg insgesamt 14 “Velorouten” für Radfahrende mit einer Gesamtlänge von rund 280 Kilometern entstehen. Unter anderem soll dann eine innere Ringroute, die Veloroute 13, die Stadtteile Altona, Eimsbüttel, Winterhude, Barmbek, Eilbek und Hamm verbinden. Zuständig für die Umsetzung ist der “Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer” (LSBG), Teil der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende. Regelmäßig kommt es bei den Planungen zu Konflikten zwischen den Interessen von LSBG, der Fahrradlobby, dem Denkmalschutz und Anwohnenden. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Gerichtstraße in Altona.

Die Gerichtstraße erstreckt sich von der Haubachstraße bis zur Max-Brauer-Allee und soll zukünftig als wichtige Fahrradverbindung dienen: Im Netzwerk der Velorouten soll sie den neuen Stadtteil “Mitte Altona” mit der Max-Brauer-Allee und der Veloroute 1 in der Chemnitzstraße in Richtung Innenstadt verbinden. Gesäumt wird sie unter anderem von einem Ensemble denkmalgeschützter Etagenhäuser. Nicht denkmalgeschützt ist allerdings die Fahrbahn mit ihrem Bodenbelag aus Pflastersteinen, die teilweise nachträglich verändert wurden.

Der Streitpunkt im Jahr 2021: Während der Verkehrsclub Deutschland Landesverband Nord e.V. (VDL) und die Fahrradlobby für eine Asphaltierung waren, um die Fahrqualität zu verbessern, haben sich die Nachbarschaftsinitiative namens „Tolles Pflaster Gerichtstraße", das Denkmalschutzamt und der Denkmalverein Hamburg e.V. für den Erhalt der bestehenden Oberflächen eingesetzt. Ein möglicher Kompromiss hätte in der Nutzung geschnittenen Pflasters bestanden, das z.B. in der Ottenser Zeißstraße oder im Eimsbütteler Weidenstieg erfolgreich verbaut wurde. Dieses passe zum gründerzeitlichen Quartiers-Charakter sowie zum Denkmalensemble und reduziere die Geschwindigkeit der Verkehrsteilnehmenden, entschied eine Fokusgruppe im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens, das bezüglich der Umbaumaßnahmen für die Veloroute 2 einberufen wurde. Als Vorbild dient z.B. die Stadt Kopenhagen, in der geschnittene Pflastersteine an vielen Stellen eingesetzt werden, um fahrradfreundliche Wege zu schaffen und gleichzeitig das historische Erscheinungsbild zu bewahren (siehe Bildergalerie). Für die Umwandlung des Pflasters werden die bestehenden Steine herausgenommen, zurechtgeschnitten, an den Oberflächen abgeschliffen und wieder in die Straße eingefügt. Der authentische Charakter des Straßenbildes wird bei diesem Verfahren erhalten.

Zu den optischen Kriterien kommen jedoch auch ökologische Argumente: Eine Asphaltierung und Versiegelung des Stadtgebietes ist aus klimapolitischer Sicht wenig sinnvoll, denn Lücken in den bestehenden Pflasterstraßen sorgen dafür, dass das Regenwasser versickern kann. Durch das biologische Fugenmaterial gelangt es gefiltert in das Ökosystem. Zudem heizt sich helleres Pflaster im Sommer weniger schnell auf als dunkler Asphalt, so dass der Wärmeinsel-Effekt in den betreffenden Straßen reduziert wird. Hinzu kommt der Aspekt der CO₂-Einsparung: Die Natursteine des Pflasterbelags wurden aus den Steinbrüchen gebracht, bearbeitet und vor Ort verlegt und enthalten daher viel "Graue Energie". Geschnittenes Pflaster ist allerdings deutlich teurer als eine simple Asphaltierung. Die Fahrradlobby äußert zudem die Sorge, dass die geschliffene Version bei Nässe glatt wird und das Unfallrisiko steigert. Zudem befürchtet man, dass die Steine durch Abnutzung mit der Zeit ihre glatte Oberfläche verlieren könnten und sich der Fugenverguss löst.

Der LSBG wird daher ab 2022 einen Kompromiss umsetzen, der sich zwischen einem Vorschlag der geschliffenen Originalsubstanz und der vollständigen Asphaltierung bewegt:
“Die Kernfahrbahn wird aus Asphalt bestehen. Zur Beibehaltung des Milieucharakters werden Bereiche neben der Fahrbahn sowie die Parkstände mit Kopfsteinpflaster befestigt. Der schützens- und erhaltenswerte sowie stadtbildprägende Baumbestand in Form einer Baumreihe jeweils beidseitig der Fahrbahn wird beibehalten, aufgewertet und ergänzt. Die Gehwege werden (...) instandgesetzt.”

Umweltschutz, Verkehrswende, Denkmalschutz, Beteiligung der Nachbarschaft, Abwägungen von Kosten, Nutzen und Aufwand - das Konfliktfeld ist komplex, und selbst Kompromisse können noch nicht alle zufrieden stellen. Grundsätzlich muss man, wie so oft, die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellen: Warum ist es angesichts der zahlreichen Kilometer neuer Fahrradwege nicht möglich, zumindest bei einigen kurzen, historisch bedeutsamen Teilabschnitten zugunsten von Stadtbild und Baugeschichte vom idealen Standard abzuweichen? Der Denkmalverein plädiert dafür, hier mit Augenmaß vorzugehen und in diesen wenigen Ausnahmefällen zumindest gute Kompromisse wie geschnittenes Pflaster umzusetzen.